Katja Davar – Botanical Metadata

Ausstellung: 13.06. – 11.07.2021

Ausstellungseröffnung:
Sonntag, 13. Juni 2021
11 – 16 Uhr

im Rahmen der 6. Biennale der Zeichnung

„Das Werk von Katja Davar (* 1968) spannt ein zeichnerisches Universum auf, das mittels eines technisch brillanten Einsatzes des Zeichenstiftes komplexe Zusammenhänge wie ökonomische Kreisläufe oder die Entwicklung von Schriftsystemen in poetische Bildwelten übersetzt. Ihre detailreichen Zeichnungen auf Papier und Leinwand sind komprimierte Darstellungen von Wissenszusammenhängen unterschiedlichster Kontexte: Wissenschaft, Wirtschaft, Natur- und Kunstgeschichte. Auf diese Weise aktiviert die Künstlerin jene Dimension des klassischen Mediums Zeichnung, die über Jahrhunderte dazu diente, Welt zu erfassen und eine Weltordnung, zumindest auf dem Papier, zu entwerfen.“

Dr. Jutta Voorhoeve
„Coding in the Garden“, 2021, pencil and graphit on paper, 152,4 x 121,9 cm

Vor dem Bild
Einführung in die Grammatik der Bildsprache

“Circle Time Circle”, 2010, spielt – subversiv wie so viele Zeichnungen von Katja Davar – mit den zu Fortschrittsmustern deklarierten ‚Utopien‘ der zeitgenössischen Wissenschaft. Was das Auge wahrnimmt, sind Kreise und Linien – aus Punkten. Ist es der Titel, der die Wahrnehmung dazu bewegt, die leeren Stellen zwischen den Punkten zu überbrücken, um die Aufmerksamkeit in einen um horizontale und vertikale Linien kreisenden Kosmos zu lenken? Warum imaginieren Menschen Zeit als zirkulierendes System, obwohl die digitalen Zeitmesser auf dem besten Weg sind, das alte Ziffernblatt aus der Welt der Bilder zu verdrängen? Wie “Circle Time Circle” zählt auch “We Collected the world in small handfulls”, 2011, zu jenen für Davars Werk aufschlussreichen Titeln, in denen sich die Poesie der Worte mit jener der Bilder zu einer nachgerade programmatischen Imagination von Zeichnung als Medium einer anderen Wissenschaft kurzschließt. Was treibt Menschen rund um den Globus an, all das in digitalen Archiven gespeicherte Wissen wie in vorgeschichtlichen Zeiten immer noch in Bilder zu übersetzen? Was treibt sie, die Linien zwischen all den in Bildern, Codes und Texten verdichteten Details bis heute weiter zu ziehen?
Katja Davars Werk basiert in einem durchaus klassischen Sinne auf der Zeichnung. “Circle Time Circle” zählt zu deren bislang reduziertesten Fassungen. „We Collected the world in small handfulls“ reiht sich unter deren verführerisch detailreiche Varianten. Um in dieses komplex vernetzte Universum der Zeichnung einzusteigen, sei ein kurzer Blick in die Vergangenheit erlaubt. Die Geschichte der Kultur ist eine Erzählung über große Erfindungen – nicht nur von Werkzeugen zur Aneignung von Welt, sondern von deren Nutzung zur Aufzeichnung der Wirklichkeit in Worten und Bildern. Wie anders wäre der Fortschritt in die Welt gekommen, wenn nicht durch das Zusammenwirken von Hand und Geist? Die Wissenschaft hat mit den einst relevanten Religionen und Utopien auch die Kunst in das Reich der Mythen verbannt. Was liegt näher, als dass die Kunst auf der Suche nach der Grammatik zur Kommunikation über Wirklichkeit die sich selbst mystifizierenden Schaubilder der Wissenschaft den Strahlen ihrer eigenen ‚mythischen‘ Zeichensysteme aussetzt? In der materiellen Wirklichkeit sind der “circle time circle” wie der Punkt Leerstellen. Sie markieren keinen Anfang und kein Ende in den messbaren Kategorien von Zeit und Raum. Im Datenuniversum von Wissenschaft und Wirtschaft sind Leerstellen allenfalls Mängel auf dem zielgerichteten Weg in die totale Entschlüsselung und Beherrschung des Universums. Noch ist es nicht so weit. Angesichts der unermesslichen Möglichkeiten werden auf absehbare Zeit wohl alle Bildspeicher-Programme der effizienzorientierten Wissenschaft versagen und die Leerstellen zwischen den Punkten allenfalls durch perfekte Simulationen übertünchen.
So kann die Hand unter Nutzung aller Werkzeuge aus Vergangenheit und Gegenwart – ob Pinsel oder Stift, hand- und computergesteuerte Nähmaschinen oder Overheadprojektoren und Computer-Animationen – ihre Linien zwischen den Punkten weiterziehen. Was Davars Werk in Bewegung hält, ist nicht primär die Auslotung der Zeichnung als kunsthistorisch definierbares Medium. Und es ist auch nicht die zunehmend ausgefeilte, experimentelle Nutzung aller Techniken aus Tradition und Gegenwart um ihrer selbst willen. Was fasziniert, ist die Unmittelbarkeit im Entstehungsprozess, mit der Davar die jedem Betrachter vertraute Form physischer und geistiger Wirklichkeitsaneignung im Prozess der Kommunikation fortschreibt. In dem Maße, in dem die Hand die Regie übernimmt, fordert sie die Imagination heraus, das perfekt Gesteuerte der programmierten Wirklichkeiten mit dem unvollendeten Potential der in ‚veralteten‘ Techniken aufgezeichneten „small handfulls“ der Weltaneignung aus den längst vergangenen Epochen kurzzuschließen. In diesem ebenso stringenten wie archaisch-anarchischen Sinne ist Davars Zeichnung eine physische und geistige Form der Welt-Aneignung. Seine Strahlkraft verdankt dieses gezeichnete Universum – jenseits aller Faszination ob seiner technischen Brillanz – den geistigen Linien ohne Anfang und Ende in einem imaginierten Kosmos aus Punkten, in dessen Freiräumen Vogelkäfige, Achterbahnen, Bäume, Wolken, Wirbelstürme und Architekturen die hinter perfekten Diagrammen kaschierten, digitalen Fortschrittsmythen herausfordern.

Annelie Pohlen

Kurzbiografie

Katja Davar (geb. 1968 in London, lebt in London und Köln) studierte an der Saint Martins School of Art London, der Kunstakademie Düsseldorf und an der Kunsthochschule für Medien Köln. Mit Zeichnungen, Grafik, Mixed Media, Animationen und Videoanimationen ist sie in Solo-und Gruppenausstellungen vertreten.

Weitere Informationen unter www.katjadavar.com